BirgitLo

Reisebericht Lakota-Reise
2018


In der Zeit vom 01.06. bis 10.06.2018 war ich mit Andrea Cox, ihrem Mann Chris und ihrer Reisegruppe in der Pine Ridge Reservation unterwegs. Es war meine zweite Reise mit Andrea und genau wie beim ersten Mal war ich wieder tief beeindruckt vom Land und den Lakota.
Als Andrea mich bat wieder eine Reisebeschreibung abzugeben, habe ich mir überlegt, wie ich meine Eindrücke am besten zu Papier bringen könnte. Rudi hat in seinem Reisebericht schon alle Aktivitäten genauestens beschrieben und im Grunde gibt es dem nichts mehr hinzuzufügen. Dann überlegte ich mir, was mich am meisten beeindruckt hatte in diesen Tagen und das waren eindeutig die Menschen selbst, die im Pine Ridge Reservat leben.

Ich hatte das Glück Menschen, die ich bei meiner letzten Reise kennenlernen durfte, wieder zu sehen. Ich lernte sie besser kennen und verstehen. Wir lernten neue Mitglieder aus Wendells Freundes- und Bekanntenkreis kennen und als wir später allein auf Tour gingen, trafen wir ebenfalls noch eine Reihe wundervoller Menschen, die uns alle herzlich aufnahmen, interessiert Fragen stellten und uns nie spüren ließen, dass wir nicht hierhergehörten.

Natürlich blieben wir trotz allem Fremde und wir haben nur einen kleinen Einblick in die Lebensweise der Lakota erhalten können. Aber das ist völlig in Ordnung.
Wie Rudi schon berichtete, unterscheidet sich unsere Lebensweise in vieler Hinsicht völlig von der der Lakota. Hier muss ich Rudi zustimmen, die Vorstellung der „Indianer“ in Deutschland weicht extrem von der Realität ab.
Die Lakota sind Menschen aus Leib und Blut und keine „edlen Fantasiegestalten“, wie wir das gerne hätten. Sie haben ihre Sorgen, ihre Nöte, sie lieben ihre Familie, sie ärgern sich über ihre Mitmenschen genau wie überall auf der Welt. Auch Neid und Hass gibt es. Sie sind tolerant oder auch nicht. Sie sind traditionell oder eben nicht.
Viele haben einen großartigen Humor, der sie über ihre Lage scherzen lässt. Etwas was man nur schwer verstehen kann, wenn man sieht, wie sie leben. Es gibt noch immer Behausungen, in denen es weder Wasser, noch Strom gibt. Badezimmer, so wie wir sie kennen, sind Luxus. Bei einigen Häusern, die ich gesehen habe, kam mir der Gedanke, dass in Deutschland der Tierschutzverein auftauchen würde, sollten wir unsere Haustiere dort unterbringen. In anderen Trailern leben mehrere Familien zusammen. Die Häuser sind genormt und alle in etwa gleich groß, so dass man es sich kaum vorstellen kann, wenn bis zu zwanzig Personen in einem dieser Wohncontainer leben.
Trotzdem sind gerade die kleinen Kinder einfach nur Kinder. Sie haben jede Menge Platz um sich auszutoben. Es gibt keine Barrieren, keine Vorschriften, solange sie sich auf dem Gelände ihrer Familie befinden. Es gibt niemanden, der sie ermahnt, sich nicht schmutzig zu machen oder auf ihre Kleidung aufzupassen. Das ist einerseits etwas Gutes, andererseits hatte ich so meine Probleme mit der Sorglosigkeit mit der mit Schuhen, T-Shirts und anderen Gebrauchsgegenständen umgegangen wird. Auf Wendells Grundstück finden sich überall diese Dinge. Niemand hebt sie anscheinend auf oder sucht sie. Niemand scheint es zu interessieren, wenn plötzlich nur noch ein Schuh zu finden ist oder eine Haarbürste nicht mehr am Platz.

Eine Erklärung dafür habe ich noch nicht gefunden. Vielleicht gibt es alle paar Wochen große Suchaktionen, wenn man merkt, dass die Kinder nichts mehr zum Anziehen haben. Diese Sorglosigkeit mit den Dingen des täglichen Gebrauchs zu erklären, fällt mir schwer. Wir kommen aus verschiedenen Welten wurde mir da bewusst.
Vielleicht ist es aber auch so, dass aufgrund der besonderen Lage von Wendells Familie, der jahrelangen Krankheit von Dolores und Wendell als alleinerziehender Vater, sich in den letzten Jahren ein gewisser Schlendrian eingeschlichen hat, der sich nur schwer beheben lässt.

Wendells neue Frau, Loreal ist sich der Größe ihrer Aufgabe durchaus bewusst und hat auch bereits einige Neuerungen eingebracht, die weg vom gewohnten Trott führen. Dabei zeigte sie viel Verständnis für die Kinder, bestand jedoch mit eisernem Willen auf die Einhaltung der von ihr aufgestellten Regeln. Vielleicht werde ich bei meinem nächsten Besuch, in ein paar Jahren, nirgendwo mehr Kleidungsstücke und andere Gebrauchsgegenstände finden, die der Präriewind gnädig zudeckt.
Loreal gehört zu den Menschen, die ich neu kennenlernen durfte und die mich sehr beeindruckte. Sie hat nicht nur kolossale Veränderungen in Wendells unmittelbarer Umgebung und seiner Familie bewirkt.
Ich erwähne hier nur die Vorhänge an den Fenstern und ein aufgeräumtes Badezimmer, ein übersichtlicher, sauberer Kühlschrank, Regale an den Wänden und schön gerahmte Familienbilder. Sie hat selbst vier eigene Kinder, die zurzeit noch in New Mexico leben und dort zur Schule bzw. aufs College gehen. Sie hat diese Kinder allein groß gezogen mit zwei Jobs, nebenbei studiert und ging dann zur Army. Jetzt plant sie ihre Rückkehr ins Reservat. Ihre Familie lebt in Wounded Knee.
Im Hause ihrer Mutter leben ihr Bruder und ihre Schwester mit ihren Familien und es gibt deshalb keinen Platz mehr für sie. Ich bin davon überzeugt, dass Loreal mit ihren Kindern trotzdem noch Platz eingeräumt bekäme, wenn es sein müsste. Doch Loreal will ein Erdhaus bauen und hat sich deshalb mit Wendolin und Bettina einen halben Tag lang zurückgezogen, um mit diesen über die Planung zu reden.

Nebenbei ist Loreal Mitinitiatorin einer Gruppe, die dafür sorgt, dass Wounded Knee als das anerkannt wird, was es ist:
Eine Gedächtnisstätte für Hunderte von Toten und kein Jahrmarkt.

Sie erzählte mir, dass sie es unmöglich findet, wenn Souvenirverkäufer am Gedenkstein stehen und ihre Andenken anpreisen. Außerdem kam es schon vor, dass Betrunkene am Mahnmal lagen und ihren Rausch ausschliefen.
Um all diese Dinge in Zukunft zu vermeiden, wird man einen neuen Zaun bauen, den niemand übersteigen kann. Der Friedhof wird jetzt von ihrem Cousin bewacht und von der Initiative bezahlt und das Massengrab wurde mit Schlössern gesichert.
Loreal ist jemand, der gut in beiden Welten leben kann. Sie ist traditionell, aber wenn es sein muss, kann sie sich auch auf die neue Zeit einlassen. Sie sagte mir, dass sie niemals eine Wohlfahrtsmutter sein wollte und deshalb alles getan habe um ihren Kindern einen guten Schulabschluss zu ermöglichen. Andererseits ist sie auch traditionell. Ihr Wissen über Wounded Knee und die Geschichten, die sie uns erzählte haben uns alle tief berührt. Im Gegensatz zu Wendell, der uns die Politik, die hinter all dem steckte erklärte, erzählte sie uns von einer Großmutter, die mit ihrem Enkel vor den Gewehren der Soldaten floh, von Kindern, die mehrere Meilen rannten, bis sie erschöpft und fast erfroren, Hilfe bei anderen Lakota fanden oder von der Mutter, die ihr Kleinkind retten konnte, während man das Baby auf ihrem Rücken erschoss. Das sei der Grund, warum sie dafür sorgt, dass man dem Mahnmal von Wounded Knee mit dem nötigen Respekt begegnet.
Die andere Geschichte, wo sie mir ihre traditionelle Seite zeigte, war die Geschichte mit den Pferden, die Wendell ihr schenkte. Ich kann mir ein leises Schmunzeln darüber nicht verkneifen und finde es irgendwie schön, dass manche Dinge sich nicht ändern.

Es gäbe noch jede Menge zu erzählen, zum Beispiel von dem Tag mit meinem Patenkind John auf dem Pow Wow. Der Tag mit ihm war etwas ganz Besonderes für mich. Diesen Tag möchte ich nicht teilen. Dann gab es da noch unseren Fernsehabend mit Richard Sherman und Winnetou III. Dieser Abend war einer der kurzweiligsten und lustigsten dieser Reise. Ich kann nur hoffen, dass Richard die verrückten Deutschen noch in sein Haus lässt, nachdem er erfahren musste, dass es ausgerechnet die Geschichten um Winnetou und Old Shatterhand sind, die das Interesse für seine Kultur in Deutschland so angefacht haben.


Es war eine wundervolle Reise und selbst jetzt, zwei Wochen nach ihrem Abschluss träume ich noch immer indianisch und es vergeht kein Tag an dem ich mich nicht an die eine oder andere Sache erinnere. Gespräche mit Cornell und Chubbs, Barbecue mit Milo Yellow Hair und seiner Frau Monique, den Abstecher ins Rosebud Reservat und ein langes Gespräch mit drei ganz besonderen Menschen dort, der Besuch bei den Crazy Horse Ridern an deren Ruhetag und die Idylle die wir dort fanden sowie die Rückkehr der Reiter an einem späten Sommerabend. Oder unser letzter Abend bei Misty und deren Erzählungen über Dolores und dem Geschenk, das ich von ihr bekam.
Eine Frau, die selbst nur das Nötigste für sich und ihre Kinder hat, beschenkt jemanden Wildfremden, der in meinen Augen nichts Besonderes getan hat. Ich bedanke mich hiermit noch einmal ganz herzlich und verspreche, dass ich dieses Geschenk in Ehren halten werde.

Vielen Dank Misty. Und vielen Dank an Andrea, dass ich wieder dabei sein durfte.

Wopila.

Birgit Loos

Camp der Crazy Horse Rider
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